BERGSTEIGEN > 27.07.2018 <

 

Piz Palü | Nordwand - drei Pfeiler für ein Halleluja!

 

Als Tetralogie, auch Vierteiler, wird ein künstlerisches Werk bezeichnet, welches aus vier Teilen besteht. 

(Quelle: https://wortwuchs.net/)

 

Ha, ist das was oder ist das was? Hört sich auf jeden Fall schonmal wichtig an und alles was wir Weekend- und/oder Flipchart-Alpinisten so daherschreiben und in die Welt hinaus posten, muss ja auch erstmal groß daherkommen. Think big. :-)

 

Nun, als ich das erste Mal das Silberschloss der Alpen erblickte, diesen irren Bergkamm im schweizer Engadin, hab' ich eher kleine Brötchen gebacken. Da hoch? Okay, wenn ihr es sagt. Die Überschreitung des Berges hat dann geklappt und das Feuer war entfacht. 2010 war das.

    

Die Palü-Überschreitung stellte seinerzeit den Schlußaccord einer Hochtourenwoche dar, deren eigentlicher Höhepunkt die Besteigung des Piz Bernina war, meinem ersten von bisher recht wenigen 4000ern. Eigentlich.


Denn als ich dann - dramaturgisch perfekt genau zum Abschluss und bei bestem Wetter - auf der Hüttenterasse der Diavolezza den Palü in seiner vollen Pracht bestaunen konnte, war ich fasziniert vom Anblick dieses Kolosses aus Fels und Eis. An die technisch anspruchsvollen Anstiegsrouten über die drei Pfeiler wagte ich noch gar nicht zu denken, sie lagen seinerzeit noch vollkommen außerhalb der Reichweite meines Leistungsvermögens. Es sollte noch dauern, bis ich - verbessert um einige Skills im Fels und Eis - zurückkehrte, um Hand an den Fels zu legen. Ziemlich genau drei Jahre. 

Im Sommer 2013 stand ich dann mit Uli am Randschrund des Ostpfeilers, den wir uns vorngenommen hatten. Gutmütig sollte er sein, so war der Literatur zu entnehmen. Na dann, schaun' mer mal. 

Der Einstieg war schonmal cool und kein Problem, Uli musste noch den Diavolezza-Morgenkaffee in der Randkluft entsorgen. Anschließend sind wir erstmal geradeaus Richtung Gratrücken geklettert. Man musste schon zupacken, aber der Fels war grandios und Tritte waren genügend vorhanden. Ging schonmal wirklich fein los.

 

Und es blieb so, lediglich ein paar Schneereste des letzten Niederschlags mussten hier und da beiseite geschoben werden.

 

Wir haben alles soweit durchgesichert, daher zog es sich dann doch. Mit heutigem Erfahrungsschatz hätte man sicher einiges am laufenden Seil gehen können, aber so weit war ich da noch nicht. Also war die Devise: Entweder sichern oder Seil weg. Die Firnschneide  nach oben raus war ebenfalls gut zu machen. Ausgesetzt ja, aber dann muss man sich halt mal konzentrieren. Was ich echt lässig fand: Man steigt direkt am Ostipfel aus, ein perfekter Tag. 

 

Weniger perfekt war der Abstieg. Da wir die letzte Bahn verpasst haben, aber unbedingt runter mussten, ging es dann über die sommerliche Skipiste weiter nach unten. Waren dann letztendlich 2.000 HM, die wir "per pedes" bis zum Auto abgestiegen sind. Aber wir hatten ja einen süß schmeckenden Gipfelerfolg im Rucksack, der uns das gut hat ertragen lassen.  :-)

Nachdem Lukas und ich im Frühjahr 2017 den Spinaspfeiler schon fest im Blick hatten, wegen des vielen Neuschnees jedoch der Hochfernerspitze den Vorzug gaben, schienen die Verhältnisse in diesem Frühjahr brauchbar.

 

Konditionell gut in Form ging es nach Pontresina und auf die Diavolezza. Das etwas wechselhafte Wetter versprach einen stabilen Tag in den nächsten 72 Stunden. Den morgigen. Wie war das nochmal mit der Akklimatisierung? Ach, vergessen. Wird ja eh‘ überbewertet. "Auffi" muss das gehen.

Im Mittelteil des Spinaspfeilers. Abwärts geschichtete Platten, garniert mit einer 15 cm-Auflage Lockerschnee und einer Hangneigung bis 60 Grad. Gibt besseres...
Im Mittelteil des Spinaspfeilers. Abwärts geschichtete Platten, garniert mit einer 15 cm-Auflage Lockerschnee und einer Hangneigung bis 60 Grad. Gibt besseres...
Björn entschied sich aufgrund starker Kopfschmerzen, die ihn nicht gut haben schlafen lassen (richtigerweise) am nächsten Tag gegen den Einstieg, Moritz und ich hingegen schlurften guten Mutes Richtung Westpfeiler. Die firnige Einstiegsrinne - in etwa 55 Grad steil - gingen wir seilfrei in einem völligen Hochgefühl: Wie geil ist das denn hier? Wenn das so weitergeht, wissen wir ja gar nicht, was wir am Nachmittag machen sollen.
Nun, der Spinas sollte noch seine Zähne zeigen.
Im eigentlich felsigen Mittelteil angekommen, änderte sich das Bild deutlich. Die Schneeauflage war nicht durchgefirnt, sonden lag locker auf. Darunter kam mehr schlecht als recht zum Vorschein: Schön abwärts geschichteter Fels. Hmmmmmmh, fein. Jetzt hieß es - immer noch seilfrei wegen mangelnder Sicherungsmöglichkeiten - ruhig bleiben und sauber zu treten. Ein Sturz hätte Mo und mich über die Gratkante gefegt und wir wären 300 Meter weiter unten "gelandet". Am ersten großen Block machten wir Stand und atmeten erstmal tief durch. Den Rest sicherten wir bis zum Firnteil durch und kamen so in das letzte Drittel der Tour.
Im Abstieg vom Hauptgipfel Richtung Osten...
Im Abstieg vom Hauptgipfel Richtung Osten...

Dort sollten keine Schwierigkeiten mehr auf uns warten. Einfach den Firn hochstapfen und das wars. Dachten wir so. 

 

Wars aber nicht. Nach 50 Metern Firn stellten wir fest, dass auch dort die Schneeauflage doch nicht so verfestigt war, wie wir es eigentlich gebucht hatten. Das Blankeis "lugte" immer wieder durch. Menno, also auf Frontalzacken weiter.

 

Wobei wir dann wieder beim Thema Akklimatisierung wären... 😊

Konditionelle Zwischenbilanz: Moritz angeschlagen, ich noch mehr. Nachdem wir den Gipfel in direkter Linie über zuletzt sehr brüchige Felsen erreichten, machten wir uns zügig daran, abzusteigen.

 

Der Rückweg war lang: Erst zum Hauptgipfel, dann rüber zum Ostgipfel und letztendlich durch die Scharte auf den Normalweg erreichten wir spät, sehr spät - also wirklich spät - die Diavolezza. Da war es schon lange dunkel. Und wir fertig "wie die Mützen".

 

Schnitt. 

Gedankenverloren stehe ich vor dem Zelt. Es ist Juli, sehr warm und schwül. Nachmittags entladen sich in den Nachbartälern einige Gewitter. Am morgigen Sonntag soll es hoch gehen. Auf den Palü, nun zum vierten Mal.

 

Der Bumillerpfeiler, zweifelsohne die Königstour hier hinsichtlich Länge und der alpinen Herausforderungen, ist das Ziel. Ich sollte ihnen gewachsen sein, die Touren der vergangenen Jahre mit guten Partnern haben mich lernen lassen, was geht und was halt (noch) nicht. 

 

Trotzdem, ich bin aufgeregt und natürlich auch ein Stück weit unsicher, ob das alles so hinhaut. Und das ist gut so.

 

Mit uns am Einstieg stehen zwei schneidige Burschn‘! Fit schauen sie aus, mit wenig Gear am Gurt. Tja, die Kunst des Weglassens. Bei uns baumelts und klimpert es auf jeden Fall mehr. Aber passt schon. 

 

In den ersten Seillängen läuft es noch nicht so rund für uns, die ersten Seillängen geht es durch super brüchiges Felsgelände und wir müssen uns beide und den richtigen Weg erst „finden“ Wir haben uns für den Felseinstieg entschieden, weil dieser a) von Pontresinas Locals Empfohlen wird und b) es in der Nacht nicht durchgefirnt hat. Bei diesen Temperaturen den objektiv gefährlichen Eiszustieg zu wählen, an dessen oberen Ende ein Serac in Größe eines Dreifamilienhauses auf den Einsturz wartet, war uns dann doch zu heikel. 

 

Die Felsalternative macht allerdings auch nicht den besten Eindruck. Sehr viel Bruch und loses Gestein, schön schaut definitiv anders aus. Nachdem wir die 6 Seillängen hinter uns gebracht haben, geht es im Firn-/Eisteil weiter. Die Ramdspalte war zwar recht groß, aber mit etwas Konzentration gut zu bewältigen. Danach ging es anstrengend bis zum zweiten Felsteil im Blankeis weiter. Das bringt die Wadenmuskulatur auf Temperatur. Am Ende dieses Abschnitts hieß es erstmal durchschnaufen. Puuuh. 

Ziemlich am Anfang des Mittelteils. Schon feiner Granit, den man da so vorfindet...
Ziemlich am Anfang des Mittelteils. Schon feiner Granit, den man da so vorfindet...

Dann wurde es schön, also die Kletterei. Das Wetter verschlechterte sich nämlich leider und nach 2 Seillängen ging es im nassen Fels weiter. Und ich um eine Erkenntnis reicher: Regen, Granit und Reibungsklettern? Geht voll.

 

Stetig ging es weiter, die Kollegen vom EInstieg immer so zwei Seillängen voraus. Plötzlich, wir befanden uns im letzten Drittel des Felsteils, dröhnender Lärm ca. 30 Meter über uns an der Gratkante. Von der anderen Seite näherte sich ein Heli und drehte ab. 5 Minuten später das gleiche Spiel, nur diesmal mit einem der beiden Kletterer an der Longline. Im Anschluß wurde der zweite Kletterer samt Retter ebenfalls aus der Wand geflogen. Was war passiert? Wir wissen es nicht, weder haben wir einen Sturz, einen Steinschlag oder ähnliches vernommen, noch irgendein Zeichen wahrgenommen, dass die beiden in Schwierigkeiten waren. Nun, auch ein verlorenes Steigeisen kann eine Tour beenden und den Heli notwendig machen. Wichtig nur, dass die beiden sicher runter gekommen sind.

 

Für uns ging es direkt auf der Gratkante weiter Richtung Eisnase. Regen und Schnee nahmen zu. Und auch die Donnerschläge kamen mit ihrem respektvollen Grollen immer näher. Wir entschieden uns, kurz vor dem Ende des Felsteils unter einem Vorsprung Rast zu machen, um das Gewitter vorbeiziehen zu lassen.  

 

Der Rest ist schnell erzählt. Nach 30 MInuten gingen wir weiter, die Eisnase war sehr gutmütig zu gehen, sie stellt heutzutage keine technische Herausforderung mehr dar. Danach umschalten auf Hochtourenmodus und zum Gipfel latschen. Dauerte aber doch länger als wir dachten.

 

Im Abstieg kamen wir in die Dunkelheit, aber die Gletscherautobahn durch den Eisbruch war gut präpariert einfach zu gehen.

 

Mission completed. Danke, Palü.

 

Übrigens: Für die drei Pfeiler hab' ich ja dann letztendlich fünf Jahre gebraucht. Mein Seilpartner hat die Teile allein in diesem Sommer abgehakt. Scho' lässig, Moritz.

 

Und die ganz fitten Leut' halten sich an die Zeiten von Walter Hölzler, der im Jahr 2002 alle drei "in einem Streich" genommen hat, dies innerhalb von 24 h. Glaubst nicht? Schaust hier...